Vernissage zur Kunstausstellung Jürgen Kintrup / Nicola Klemz

vom 7. Oktober bis zum 30. November 2011 im Stiftungskrankenhaus Nördlingen

(Helmut Scheck)

"Der Traum ist die älteste Form der Kunst". Was Wolfgang Borchert etwas pointiert ausgedrückt hat, mag manchem von Ihnen, verehrte Kunstinteressenten, unwillkürlich durch den Kopf gehen, wenn der Blick über die Bilder von Nicola Klemz wandert. Der Traum ist die älteste Form der Kunst. Immer wieder taucht man hier unversehens in eine Welt ein, der man schon irgendwann und irgendwo begegnet zu sein glaubt, ohne sie freilich dingfest machen zu können. Wer sich auf die Phantasiewelt der Bilder von Nicola Klemz einlässt, begibt sich oft in die Räume des Traumhaften. Wir alle haben auf der Ebene des Unterbewusstseins eine Vielzahl von Bildern, Ahnungen, Befindlichkeiten gespeichert, die von dem herrühren, was wir im wachen Bewusstsein, aber auch in Traumzuständen erlebt haben. Und so, wie z. B. Computerdaten auf der Festplatte ihre Spuren hinterlassen, die selbst dann, wenn man sie für gelöscht hält, von einem Spezialisten wieder ans Tageslicht befördert werden können, so ist es möglich, das in uns Gespeicherte und scheinbar längst Vergessene aufs neue zu aktivieren. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud hat das in ähnlicher Weise umschrieben, wenn er sagt: "Kunst ist vielleicht die sichtbarste Wirklichkeit des unterdrückten Bewusstseins."

Der aufmerksame Betrachter dieser Bilder wird in die Pflicht zur Deutung genommen, zu einer Deutung, die nie eindeutig bleibt, weil die Einzelmotive geradezu magisch immer wieder neue Assoziationen hervorrufen. Diese Bilderwelt setzt in besonderem Maße die Phantasie des Betrachters in Bewegung, sie veranlasst ihn stets zu neuen Interpretationen und gedanklichen Verbindungen aus dem Fundus der persönlichen Erfahrungen und so sind der Vorstellungskraft keine Grenzen gesetzt.

Nicola Klemz macht es dem Betrachter ihrer Bilder nicht schwer, einen spontanen Zugang zu ihrer Ausdruckswelt zu finden. Immerhin: da gibt es Landschaften, da sind eindeutig Blumen, Bäume und menschliche Gestalten auszumachen. Aber hinter der realistischen Fassade mit penibler fotografischer Akkuratesse verbergen sich seelische Stimmungen, häufig melancholisch, magisch, verträumt. Das gilt auch für die oft kargen Landschaften wie für die Portraits, die nicht so sehr auf Ähnlichkeit abzielen, sondern eher als Sinnbilder menschlicher Existenznöte gedeutet werden können.

Es stellt sich die Frage nach dem Stil, der zwar von der Darstellung des Realistischen gekennzeichnet ist, aber häufig mit mehr oder minder starker Verfremdung einher geht. Wir Kunstbetrachter brauchen schließlich unsere Schubladen zur Orientierung. Am ehesten trifft wohl für diese Bilderwelt, die den Betrachter verzaubern und in eine Welt der Magie und Phantasie entführen will, das Etikett des magischen Realismus, der freilich manchmal in eine Über-Wirklichkeit (franz.: Surrealismus) umschlagen kann.

Noch ein Wort zur Maltechnik von N.K. Sie werden überrascht sein zu erfahren, dass sie eine veritable Schülerin von Friedrich Herlin und Hans Schäufelin ist. Immerhin, sie hat sich von der spätmittelalterlichen Tafelmalerei so sehr begeistern lassen, dass sie schon während ihrer Studienzeit die typische Schichtmalerei erprobt hat. Schicht für Schicht wird dabei nach den nötigen Trocknungspausen übereinander gelegt. So entstehen Licht und Schatten, die Valeurs der Farben, die bei ihr vorherrschenden Grau-, Violett- und Blautönungen, die von feinen kontourierenden Linien und Strichen durchzogen sind.

Großformatige Bilder sucht man hier übrigens vergebens. Um ein Bild aus der Musik auszuleihen: Nicola Klemz komponiert keine Opern oder Sinfonien, sondern sie macht Kammermusik, bei der es auf die Ausgestaltung der kleinen Strukturen ankommt. Schauen Sie sich z. B. in Ruhe die Bilder Die drei Damen aus dem Zauberflöten-Zyklus an und Sie entdecken, mit welcher Hingabe und handwerklichem Raffinement die Details gestaltet sind.

"Der Traum ist die älteste Form der Kunst". Seit Sigmund Freud verstehen die Psychoanalytiker Träume als symbolhaften Ausdruck unbewusster Wünsche, die sich gleichsam verkleidet haben. Auch in diesen Bildern begegnen wir immer wieder symbolhaften Bildelementen wie etwa der Schnecke oder Maske, für die jeder Betrachter seine persönliche Deutung finden kann.

Ähnlich wie in der Pantomime und im modernen Tanztheater können dargestellte Personen durch eine bestimmte Gestik zum Ausdrucksträger einer Idee oder eines seelischen Zustandes werden, aber auch eine Landschaft kann in ihrer Leere zum Symbol eines seelischen Affektes werden (Isländische Landschaften).

Kunst zu machen ist allemal ein schwieriges Geschäft. Weniger denn je wartet heute die Gesellschaft darauf, dem Künstler sein Werk aus den Händen zu reißen. Umso wichtiger ist es für ihn, sich seines Tuns und Wollens bewusst zu sein. Dass Nicola Klemz genau weiß, was sie will, hat sie einmal einer Journalistin so erklärt:

Die Kunst eröffnet dem Einzelnen einen Zugang zu seinen inneren Bildwelten. Sie kann dazu beitragen, dem heute erlebten Verlust von Werten und Vorbildern neue Werte und Qualitäten entgegen zu setzen. Neben diesen gesellschaftspolitischen Aspekten soll aber nicht vergessen werden, dass Kunst auch mit Vergnügen, Genuss, Muße und ähnlich angenehmen Dingen zu tun hat.

Vergnügen, Genuss und die notwendige Muße wünsche ich Ihnen jetzt für Ihren Rundgang durch diese Ausstellung.

(Laudatio von  Helmut Scheck  am 7. Oktober 2011)