Artikel aus der
Süddeutschen Zeitung
vom 22.7.2009 (Nr. 166, Seite 32)
Nördlinger Mauerschau:
Der Mauer, die noch vor 20 Jahren Ost- und Westdeutschland grausam trennte, diesem
Konstrukt weint niemand auch nur eine Träne nach. Für eine andere Mauer aber
tut man viel, damit sie Bestand hat. Diese Mauer soll die Menschen nicht
entzweien, sondern einander näher bringen. Ein Widerspruch? Nicht in
Nördlingen, wo die 2,7 Kilometer lange Stadtmauer in diesen Wochen zur
Freiluft-Galerie geworden ist. Die Stadt hat 26 Künstlerinnen und Künstler
gebeten, den Steinbau mit ihren Werken zu gestalten. Das Ergebnis dieser
"Mauerschau" ist ein überraschender Querschnitt zeitgenössischer
Kunst. In der Auswahl ihrer Materialien beweisen alle Mitwirkenden sehr
unterschiedliche schöpferische Auffassungen und auch in der Umsetzung: Zu sehen
sind bis 3. Oktober Arbeiten aus Holz, Filz, Farbe, Glas, mit Objekten und als
Installation.
Anna Maria Moll, Jahrgang 1948, weist in ihrer Collage auf die kulturelle Vielfalt
in der Stadt hin. Migranten aus 44 verschiedenen Ländern leben in Nördlingen,
hat sie nachgezählt. Sie sagt: "Eine Herausforderung für die Bewohner,
ihre Herzen so weit zu öffnen wie ihre Stadttore." Der Düsseldorfer
Künstler Fred Jansen hingegen hat ein baumhohes Holzkreuz vor ein Tor genagelt
und prangert an, dass die Mauer die Menschen nicht nur geschützt, sondern auch
eingesperrt habe. Die Nördlinger Künstlerin Christine Hubel hingegen wünscht
sich mit ihrer Schattenrissfigur, die Baldinger Mauer mit einem Sprung zu überwinden:
"Einfach abheben und drüberfliegen", sagt sie über ihre Arbeit. Für
Helga Hegendörfer ist das Bauwerk auch "Klagemauer". Zum Glück sei
sie heute nur ein Mahnmal inmitten einer Welt, in der es keinen Frieden gibt,
sagt die Nördlinger Malerin, auf deren Bildern Soldaten in Feuer und Rauch
kämpfen. Der Fotograf Wilfried Rangette (großes Foto) zeigt Arbeiten mit
unbekannten Ansichten der Stadt Nördlingen - über die lange Mauer und die
Dächer der Stadt hinweg. Für Gedankenspiele.
(bub)

2700 Meter lang ist die Nördlinger Stadtmauer und rundum begehbar. Dass sich das
historische Bauwerk auch gut als Galerie eignet, beweist die
"Mauerschau", an der 26 Künstler mit ihren Arbeiten beteiligt sind:
(von links) Wolfgang Mussgnug und Roland Schulz; Anna Maria Moll (links oben)
mit einer Collage und Fred Jansen. Das große Foto stammt von Wilfried Rangette.
(Fotos: Katalog)
22.7.2009